Ein Herz für die Chemie schlägt nicht mehr: Wir trauern um Prof. Dr. Prof. h. c. mult. Dr. h. c. Walter Kaminsky
2. Dezember 2024, von Hans-Ulrich Moritz
Foto: privat
Walter Kaminsky wurde am 7. Mai 1941 in Hamburg geboren. Nachdem die Familie in Hamburg ausgebombt wurde, konnte sie aber auf ein Forsthaus nahe Medingen, einem Vorort von Bad Bevensen, in die Lüneburger Heide ausweichen, so dass Walter Kaminsky eine unbeschwerte Kindheit erlebte und Wald und Flur immer verbunden blieb, später den eigenen Wald hegte und bejagte. Anschließend an sein sehr gutes Abitur wurde er als einer von acht Chemie-Studenten an der Universität Hamburg aufgenommen. Nach dem Diplom schloss sich Walter Kaminsky dem gerade im Aufbau befindlichen Arbeitskreis von Hansjörg Sinn an, der 1965 auf den Lehrstuhl für Angewandte Chemie an die Universität Hamburg berufen wurde.
1971 promovierte er zum Thema „Die Reaktion zwischen Bis(cyclopentadienyl)-Zirkon-dichlorid und Aluminiumtriäthyl“, einem löslichen Katalysatorsystem für die Olefinpolymerisation. Dieses Forschungsgebiet ließ Walter Kaminsky sein gesamtes Leben als forschender Chemiker nicht mehr los. Mit der Synthese homogener hochaktiver Katalysatorsysteme auf der Basis von Metallocenen der Titangruppe mit Methylaluminoxan (MAO) als Co-Katalysator und nach der Darstellung chiraler ansa-Metallocene durch Hans-Herbert Brinzinger (Uni Konstanz) konnte Walter Kaminsky Katalysatoren entwickeln, die eine stereoselektive Polymerisation von Propen und höheren α-Olefinen ermöglichen. Die Kombination von Zirkonocenen und MAO trägt sogar den Namen Walter Kaminskys („Kaminsky-Katalysatoren“). Durch sie wurde ermöglicht, zum ersten Mal mit homogenen Katalysatoren taktische (isotaktische, syndiotaktische oder ataktische) Polypropylene gezielt zu erzeugen. Solche Kaminsky-Katalysatoren wurden auch für kommerzielle Herstellverfahren von Polyolefinen weiterentwickelt.
Einem Angebot der BASF folgte er nicht, sondern blieb in Prof. Sinns Arbeitskreis um sich dem letzten Abschnitt des Lebenszyklus von Polymeren zuzuwenden, dem Kunststoff-Recycling. Walter Kaminsky entwickelte gemeinsam mit Hansjörg Sinn das sogenannte „Hamburger Pyrolyseverfahren“ und habilitierte sich 1981 mit einer Habilitationsschrift zur „Pyrolyse von Kunststoffabfällen und Altreifen in der Wirbelschicht zur Wertstoffrückgewinnung im Technikumsreaktor“. Ihm war schon damals bewusst, dass die Verantwortung nicht mit der Herstellung von Polyolefinen bzw. Kunststoffen im Allgemeinen aufhört, sondern der gesamte Lebenszyklus mitgedacht werden muss. Folgerichtig schuf er sich mit der Pyrolyse von Abfallpolymeren ein zweites Standbein, einen zusätzlichen Forschungsschwerpunkt. Das von ihm entwickelte Pyrolyseverfahren ist auch heute noch eine der effektivsten Lösungen, um aus komplexen Abfallgemischen Wertstoffe zu isolieren, sie im Kreislauf zu halten, und Rohstoffe wieder zurückzugewinnen. Dieses heute als „zirkulare Chemie“ bezeichnete Vorgehen unterstreicht, wie weit Walter Kaminsky seiner Zeit voraus war. Er hat dieses heute hoch-aktuelle Forschungsgebiet an seinen Nachfolger im Amt, Prof. Gerrit A. Luinstra, gewissermaßen vererbt und begleitete bis in die Gegenwart die Fortschritte und die Herausforderungen junger Doktoranden mit großem Interesse und gern gesehenem Rat.
1979 nahm Walter Kaminsky nach einer Vertretungsprofessur für Technische Chemie an der Universität Oldenburg einen Ruf an die Universität Hamburg auf die C4-Professur für Technische und Makromolekulare Chemie an. 1985 war das neue Institut für Technische und Makromolekulare Chemie, an dessen Planung er maßgeblich beteiligt war, fertiggestellt und ermöglichte eine deutliche Ausweitung und Intensivierung der Forschungsaktivitäten, die nationale und internationale Anerkennung fand. Einem attraktiven Ruf an die TU Karlsruhe (heute Karlsruher Institut für Technologie, KIT) Ende der 80er Jahre widerstand Walter Kaminsky und blieb dem Hamburger Institut für Technische und Makromolekulare Chemie treu.
Walter Kaminsky wurde u.a. 1988 mit dem Förderpreis für die Europäische Wissenschaft der Körberstiftung (zusammen mit Hansjörg Sinn), dem Heinz Beckurts Preis (zusammen mit Hans-H. Brintzinger) (1991), der Alwin Mittasch-Medaille (zusammen mit Hans-H. Brintzinger und Hansjörg Sinn) (1995), dem Carothers Award of the American Chemical Society (1997), dem Walter Ahlström Preis der Finnischen Akademien (zusammen mit Hansjörg Sinn) (1997), der Benjamin Franklin Medaille (1999), dem Outstanding Achievement Award of the Society of Plastics Engineers (1999), dem Hermann-Staudinger Preis (2003) und dem Giulio Natta Preis der Giulio Natta und Nicolo Copernico Gesellschaft (2016) ausgezeichnet.
Er war Ehrenmitglied der Royal Chemical Society (1996), Ehrenprofessor der Zhejiang University, China (1998) und Ehrenprofessor der East China University of Science and Technology, Shanghai, China (2008) sowie Ehrendoktor der Aalto Universität, Finnland. Im Mai dieses Jahres wurde Walter Kaminsky in die Plastics Hall of Fame (USA) aufgenommen. Dass er diese Würdigung zwei Tage vor seinem 83. Geburtstag in Begleitung seiner lieben Frau Karin und seines Sohnes Jan in Orlando (Florida) in Empfang nehmen durfte, erfüllte ihn sehr zu Recht mit Stolz. In die Plastics Hall of Fame werden ausschließlich Pioniere aufgenommen, die zukunftweisende Lösungen im Kontext mit Kunststoffen für die Bedürfnisse der Weltgesellschaft erarbeitet und damit die Art wie wir leben positiv beeinflusst haben.
Walter Kaminsky war seit 1992 Mitglied der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften in Hamburg und gehörte seit 2005 der Akademie der Wissenschaften in Hamburg an. Als Vorstandsmitglied der Joachim Jungius-Gesellschaft hatte er maßgeblich an der Gründung der Akademie der Wissenschaften mitgewirkt.
Seine Publikationsliste umfasst 500 Artikel und Bücher; er ist Erfinder von 30 Patenten.
Wer je eine Vorlesung oder einen Vortrag von Walter Kaminsky gehört hat, weiß, dass Lehren für ihn eine Berufung war. Als Zuhörer spürte man, wofür er brannte. Seine Begeisterung faszinierte. Das Wort, die Gestik, der Habitus, das Jonglieren mit den großen farbigen Molekülmodellen und schon hatte er den Blick in die dreidimensionale Welt der Stereochemie eröffnet, und man hatte spielerisch einen komplexen Reaktionsmechanismus gelernt. Walter Kaminsky hatte die für Hochschullehrer seltene Gabe, seinen Enthusiasmus, ja seine Liebe zur Chemie auf seine Zuhörer zu übertragen, sie mitzureißen, selbst diejenigen, die weniger mit seiner Materie vertraut waren.
Die Anschaulichkeit der Modelle und der Bezug seiner Erkenntnisse zur Praxis waren ihm stets wichtig. Letzteres äußerte sich in vielen Forschungskooperationen, auch mit Unternehmen der Chemischen Industrie. Bis zu seiner Emeritierung 2006 hatte Walter Kaminsky mit öffentlich und privat finanzierten Forschungsprojekten etwa 140 Promotionen und Gastwissenschaftler betreut und damit den akademischen Nachwuchs herangebildet, unterstützt durch emphatisches Vorleben, ein „offenes“ Büro und die Möglichkeit, eigene Befunde und Thesen im wissenschaftlichen Diskurs im Inland und Ausland zu verteidigen. Deshalb war Walter Kaminsky Initiator und regelmäßig Gastgeber des Hamburger Makromolekularem Symposiums, das zur Reputation des Instituts beitrug und selbst ein Nukleus für diesen wissenschaftlichen Austausch war. Viele seiner Doktoranden nehmen heute wichtige Positionen in Forschung, Lehre und der Industrie ein.
Walter Kaminsky war ein Kollege, der stets Gemeinsamkeiten und den Ausgleich suchte und fand. Unterschiedliche Interessen konnte er zum Vorteil aller zusammenführen, so dass es schwer fiel, mit ihm zu streiten.
Am 23. November 2024 verstarb Walter Kaminsky im Kreise seiner Familie nach kurzer schwerer Krankheit. Wir erinnern ihn als einen herausragenden Katalytiker, einen verantwortungsvollen Chemiker mit Weitblick, einen großen Lehrer und einen stets positiven, ausgleichenden Kollegen.
Wir trauern um einen lieben Freund.
Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.