Röntgenstukturanalyse bestimmt erstmals molekulare Struktur sogenannter Spiegelmere
27. April 2015, von Y. Koehn

Foto: UHH/Betzel
Prof. Dr. Dr. Christian Betzel
Die Arbeitsgruppe von Prof. Betzel, Fachbereichs Chemie, hat erstmals die räumliche Struktur eines medizinisch vielversprechenden Aptamers aus der neuen Wirkstoffgruppe der Spiegelmere aufgeklärt. Die Ergebnisse ermöglichen ein tieferes Verständnis der Funktion sowie eine Optimierung dieses Wirkstoffes, welcher sich bereits als Entzündungshemmer in der klinischen Erprobung befindet.
Spiegelmere beruhen auf Bausteinen der Ribonukleinsäure (RNA), die im Organismus verschiedene Aufgaben erfüllen, etwa die Übertragung von Informationen oder die Regulierung von Genen. Künstlich hergestellte RNA-Moleküle, sogenannte Aptamere, können sehr spezifisch an bestimmte Proteine binden und damit deren Funktion blockieren. Gleichzeitig werden sie vom Organismus toleriert, da sie auf natürlichen RNA-Bausteinen beruhen. Aptamere gelten daher als vielversprechende medizinische Wirkstoffkandidaten. Seit 2006 ist bereits ein Aptamer zur Behandlung der altersbedingten Makula-Degeneration (AMD) zugelassen, einer Augenkrankheit.RNA-Moleküle werden im Körper in der Regel sehr schnell abgebaut, was den Einsatz als medizinische Wirkstoffe stark einschränkt. Allerdings werden künstlich hergestellte Aptamere in ihrer L-Form vom Organismus nicht abgebaut, da sie von körpereigenen Enzymen angegriffen werden. Diese spiegelbildlichen Formen heißen Spiegelmere. Unter Nutzung der hochintensiven Röntgenstrahlung von PETRA III (DESY) wurde nun ein Spiegelmer der Firma Noxxon mit der Bezeichnung NOX-E36 analysiert. Es hemmt ein Protein namens CCL2, das an zahlreichen Entzündungsprozessen im Körper beteiligt ist. In einer kürzlich abgeschlossenen sogenannten Phase-IIa-Studie mit Patienten wurde NOX-X36 bereits erfolgreich getestet. Für die Strukturanalyse des neuartigen Wirkstoffs wurden zunächst Kristalle aus dem Spiegelmer und dem daran gebundenen Protein CCL2 gezüchtet. Wobei die Kristallisation eine technische und wissenschaftliche Herausforderung war.
Zeitgleich und in Kooperation analysierte eine Gruppe um Laure Yatime von der Universität Aarhus ein zweites Spiegelmer: NOX-D20 koppelt an das Protein C5a, das ebenfalls an zahlreichen Entzündungsprozessen beteiligt ist.
Beide Analysen wurden zusammen zeitgleich publiziert und zeigen die räumliche Struktur der Spiegelmere mit einer Detailgenauigkeit von 0,2 Nanometern (millionstel Millimetern), das ist in der Größenordnung einzelner Atome. "Ich bin begeistert, endlich eine hochauflösende Visualisierung der bemerkenswerten Formen von zwei Spiegelmer-Wirkstoffkandidaten zu haben", betont der Gründer und wissenschaftliche Leiter der Noxxon GmbH, Dr. Sven Klussmann, der bei beiden Fachveröffentlichungen Ko-Autor ist. "Die Strukturdaten liefern uns nicht nur einen ersten Einblick in die ungewöhnliche Wechselwirkung zwischen einem Spiegel-Oligonukleotid und einem natürlichen Protein, sondern liefern auch ein tieferes Verständnis der Funktionsweise beider Moleküle."
Originalarbeiten:
"Crystal structure of a mirror-image L-RNA aptamer (Spiegelmer) in complex with the natural L-protein target CCL2"; Dominik Oberthür, John Achenbach, Azat Gabdulkhakov, Klaus Buchner, Christian Maasch, Sven Falke, Dirk Rehders, Sven Klussmann & Christian Betzel; "Nature Communications", 2015; DOI: 10.1038/ncomms7923
"Structural basis for the targeting of complement anaphylatoxin C5a using a mixed L-RNA/L-DNA aptamer"; Laure Yatime, Christian Maasch, Kai Hoehlig, Sven Klussmann, Gregers R. Andersen & Axel Vater; „Nature Communications“, 2015; DOI: 10.1038/ncomms7481