Forschung
Im Institut für Anorganische und Angewandte Chemie wird Forschung am Puls der Zeit mit außergewöhnlich hoher gesellschaftlicher Relevanz betrieben. Wir verstehen uns nicht als Vertreter eines Zweigs akademischer Forschung, die im berüchtigten Elfenbeinturm vergeistigt und ohne Bezug zu drängenden sozioökonomischen Fragen arbeitet, von denen die Gesellschaft zu Recht erwartet, dass die von ihr finanzierte, staatliche Forschung sich bemüht, mögliche Lösungsansätze bereitzustellen.
Müsste man die Forschungsbereiche mit drei Stichworten charakterisieren, hießen sie:
Energie, Rohstoffe & Materialien sowie Effizienz & Nachhaltigkeit.
Wussten Sie beispielsweise, dass im Bereich des Recyclings von Plastikabfällen lediglich 1,8 % als neu einzusetzende echte Rohstoffe anfallen und der Rest verbrannt (sog. thermische Verwertung, ca. 61 %) oder in Form niederwertigerer Produkte (sog. Downcycling zu Plastikgranulaten, ca. 37 %) auf den Markt kommt? Hier setzt die Forschung von Dr. Enthaler an, der versucht, ein echtes chemisches Recycling zu betreiben, d.h. aus Plastik die Rohstoffe, aus denen es hergestellt worden ist, zurückzugewinnen.
Beim Verbrennen von Plastik und fossiler Energieträger entsteht dem Klima nicht gerade zuträgliches CO2. Wie wäre es, wenn man das entstehende CO2 durch katalysierte Reaktionen wiederum zu einem Energieträger machen könnte? Und wie wäre es, wenn man Erdgas – statt es nur zu verbrennen – in höherwertige, extrem wichtige Ausgangsstoffe der chemischen Industrie, verwandeln könnte, beispielsweise Methanol? An diesen Fragestellungen arbeitet Prof. Burger.
Bei der Substitution fossiler Energieträger rückt auch zunehmend Wasserstoff in den Fokus. Hier gibt es jedoch noch Forschungsbedarf bezüglich der effizienten Wasserstoffgewinnung und -speicherung. Prof. Burger stellt für die Herstellung eine solargetriebene Wasserspaltung in Aussicht, während Prof. Fröba seine Expertise im Bereich der porösen Feststoffe nutzt, um mögliche Speichersysteme zu entwerfen. Seine exzellenten Verbindungen zu Verbänden der Energiewirtschaft sorgen dafür, dass die angedachten Lösungen auf ihre Umsetzbarkeit hin abgestimmt werden.
Apropos Sonne - die Sonne stellt potentiell eine unglaubliche Energiemenge zur Verfügung, könnte sie denn effizient genutzt werden. Bisher wird der kosmische Photonenflux z.B. für Solarthermie oder die Gewinnung von Strom genutzt. Das stellt aber nur ein relativ bescheidenes Spektrum der Möglichkeiten dar. Die ganze Bandbreite der Photokatalyse – die durch Licht unterstützten oder ausgelösten chemische Reaktionen – umfasst viel mehr. So arbeitet z.B. JProf. Mascotto daran, eine spezielle Materialklasse (Perowskit-Oxide) dafür zu optimieren, dass sie bei Lichteinfall Treibstoffe produziert (sog. Sonne-zu-Kraftstoff-Prozesse).
Im Zeichen der Nachhaltigkeit von katalytischen Reaktionen steht die Forschung von Prof. Jacobi von Wangelin. Eine Fragestellung seiner Gruppe ist z.B., ob die bisher häufig eingesetzten, aber sehr teuren und seltenen Katalysator-Metalle wie Platin, Palladium und Rhodium nicht durch solche Metalle ersetzt werden können, die wesentlich besser verfügbar und billiger sind, z.B. Eisen, was gegebenenfalls durch ein spezifisches Liganden-Design erreicht werden kann. Daneben untersuchen er und seine Gruppe auch, wie man die Katalysatorsysteme designen muss, damit sie mit Licht funktionieren. Dabei kommt auch dem Design des Reaktors, in denen solche Reaktionen stattfinden, eine fundamentale Bedeutung zu - das Ziel ist hier, die Raum-Zeit-Ausbeute beträchtlich zu erhöhen und damit gleich an zwei Stellschrauben zu drehen, um den Begriff der Nachhaltigkeit keine bloße Floskel bleiben zu lassen, sondern mit chemischen Wissen zu beleben.
Die moderne, immer stärker digitalisierte Gesellschaft generiert eine unfassbare Menge an Daten - in einer Minute werden beispielsweise 188 Millionen eMails versandt. Wohin mit all diesen Daten? Und wie speichert man sie so, dass sie auch in hunderten von Jahren noch zuverlässig abrufbar sind? Das ist einer der Forschungsbereiche von Frau Professorin Carmen Herrmann. Noch braucht man für die Speicherung einer binären Information in etwa 20 Quadratnanometer. Doch welche ungeahnten Möglichkeiten ergäben sich, wenn man eine solche Information mithilfe nur eines einzigen Moleküls speichern könnte? Prof. Hermann versucht dazu die Spin-Eigenschaften von Molekülen zu nutzen, sie arbeitet daher an einer Datenspeicherung 5.0 sozusagen.
Das ist aber nur einer ihrer Forschungsrichtungen. Daneben unterstützt sie durch ihre umfassenden Kenntnisse in der theoretischen Chemie alle anderen Arbeitsgruppen in unserem Institut dadurch, dass sie in der Lage ist, die praktischen Fragestellungen bereits im Vorfeld durch Simulationsrechnungen auf ihre Durchführbarkeit vorzuevaluieren. So sorgt sie mit dem gesamten Repertoire der theoretischen Chemie, deren vielfältige Methoden sie beherrscht wie Mozart die Tonarten, dafür, dass ihre Forschung im doppelten Sinne nachhaltig ist, weil ggf. auch unnötige oder aussichtslose Versuche unterlassen werden.
Warum herrscht in Museen eigentlich stets eine ungewöhnlich genau kontrollierte Atmosphäre? Und wie führen gewöhnliche Wetterbedingungen eigentlich dazu, dass kostbare Kunstwerke, Gebäude, Bauwerke, Skulpturen zerstört werden? Eines der Geheimnisse liegt darin, dass sich die Chemie auf Oberflächen oder in porösen Medien anders benimmt als im freien Volumen. Wussten Sie, dass sich flüssiges Wasser, das man in einen Raum von wenigen Nanometern einsperrt, nicht mehr in Eis verwandeln lässt? Es bleibt selbst bei tiefkalten Temperaturen flüssig. Mit solchen Phänomenen, d.h. den veränderten physikochemischen und thermodynamischen Eigenschaften von Stoffen, beschäftigt sich Prof. Steiger. Möchte man beispielsweise die Venus von Willendorf (Alter ca. 30.000 Jahre) für die Nachwelt erhalten, so ist dieses Wissen dafür unerlässlich.
Um solche Phänomene des sog. Confinements (räumliche Beschränkung/Begrenzung) besser studieren zu können und das prinzipielle Wissen darüber zu mehren, ohne Gefahr zu laufen, kostbare Originale zu zerstören, ist es hilfreich, künstliche Matrices mit einstellbarer Raumgröße und ‑geometrie produzieren zu können. Das ist ein weiteres Steckenpferd der AG Fröba, die solche porösen, schwammartigen Phasen in großer Vielfalt synthetisieren kann. Diese lassen sich nicht nur für die Erforschung der Grundlagen veränderten Verhaltens von Materie nutzen, sondern bilden gleichzeitig die Basis für neuartige Energiespeichersysteme – womit sich gewissermaßen der Kreis in Bezug auf die drei genannten Schlagworte schließt.
Sollten wir Ihr Interesse geweckt haben, sei es als noch im Ausland tätiger Wissenschaftler, sei es als dem Entrepreneurwesen zugewandter Gesellschafter, sei es als an den brennenden Fragen der Zeit interessierte/r Studierende/r – sprechen Sie uns an!