Maßgeschneiderte Wirkstoffe überlisten Krankenhauskeime
11. Mai 2016
Foto: UHH Betzel
Hamburger Forscher haben gemeinsam mit Kollegen aus Brasilien und China an DESYs Röntgenlichtquellen einen vielversprechenden Weg entwickelt um antibiotikaresistente Krankenhauskeime zu überlisten.
Statt diese sogenannten MRSA-Bakterien direkt zu attackieren,
greifen die Wissenschaftler in einen für den Krankheitserreger
lebenswichtigen Stoffwechselzyklus ein. Dadurch stellt das
Bakteriumeine nutzlose Variante des Vitamins B1 her. Ohne
funktionierendes Vitamin B1 geht der Erreger zugrunde. Das
Team um Prof. Christian Betzel von der Universität Hamburg
und Prof. Carsten Wrenger von der Universität Sao Paulo stellt
seine Arbeit im Fachblatt "Scientific Reports" vor. Antibiotikaresistenzen sind ein wachsendes Gesundheits-
problem. Immer
mehr Bakterienstämme werden unempfindlich für bestimmte Antibiotika - sie lernen, sich
auf die Attacken einzustellen, und entwickeln eine Immunität dagegen. Die wichtigste Waffe gegen
bakterielle Infektionen droht damit stumpf zu werden. Sogenannte Methicillin-resistente Staphylokokken
(MRSA) sind oft bereits gegen alle gängigen Antibiotika-Arten resistent und lassen sich nur noch mit Notfall-
und Reservewirkstoffen bekämpfen. Während MRSA zunächst nur in Krankenhäusern auftraten, wo
sich durch die Häufung von Keimen und Antibiotika leichter Resistenzen entwickeln können, werden
inzwischen MRSA-Infektionen auch außerhalb von Gesundheitseinrichtungen beobachtet.
Auf der Suche nach neuen Mitteln gegen die widerstandsfähigen Keime hat das Team um Betzel und Wrenger
einen neuen Weg eingeschlagen.
„Klassische Wirkstoffe blockieren eine bestimmte Funktion des
Bakteriums“,
erläutert Betzel. „Dann kann das Bakterium einen Weg um die
Blockade herum entwickeln und wird dadurch
resistent gegen diesen
Wirkstoff.“ Die Forscher greifen dagegen geschickt in den
Vitamin-B1-Zyklus der
Staphylokokken ein, ohne diesen zu blockieren. Das
Bakterium muss das lebenswichtige Vitamin selbst
herstellen. An den
Messstationen des Europäischen Molekularbiologie-Labors EMBL bei DESY
haben die
Wissenschaftler die Struktur eines daran beteiligten Enzyms
atomgenau bestimmt. Die Wissenschaftler
„füttern“ dieses Enzym dann mit
einer maßgeschneiderten, scheinbar nützlichen Zutat. Dieses sogenannte
Substrat ist jedoch gegenüber der natürlichen Variante ganz leicht
verändert, so dass eine nutzlose Form des
Vitamins entsteht.
„Damit überlisten wir den Organismus“, erläutert Betzel. „Wir geben ihm
etwas, von dem er glaubt, dass er es
benötigt – aber in leicht
veränderter Form, so dass er letztlich nichts damit anfangen kann. Im
Idealfall
bemerkt das Bakterium den Grund gar nicht, weil der
Vitamin-B1-Zyklus ja weiter funktioniert.“ Das Vitamin
eignet sich dabei
nach Ansicht der Forscher aus zwei Gründen besonders als Ansatzpunkt.
„Der Vitamin-B1-
Zyklus ist sehr essenziell. Dazu gibt es kaum
alternative Wege“, sagt Privatdozent Markus Perbandt von der
Universität
Hamburg, Ko-Autor der Studie. Und zudem: „Menschen haben kein ähnliches
Enzym. Das ist sehr
wichtig, um Kreuzreaktionen zu vermeiden.“
Doch wie muss das ideale Substrat genau aussehen, damit das Bakterium es
auch annimmt? Dazu haben sich
die Forscher mit Hilfe der
DESY-Röntgenlichtquellen die atomare Struktur der beteiligten Enzyme
angeschaut.
„Am Vitamin-B1-Zyklus sind sechs Enzyme beteiligt. Vier
davon sind bereits analysiert“, berichtet Betzel. „Am
interessantesten
davon ist das Enzym namens ThiM. Bei dem Substrat, mit dem wir dieses
Enzym 'füttern',
müssen wir nur zwei Atome verändern, um es nutzlos zu
machen.“ ThiM ist ein sogenanntes Trimer. Das
bedeutet, dass sich
jeweils drei ThiM-Moleküle zu einem Komplex zusammenlagern. „Dieses
Trimer hat damit
drei aktive Zentren, die jeweils in den Grenzflächen
der drei Moleküle liegen“, erläutert Betzel.
„Wenn man die Struktur der aktiven Zentren genau kennt, kann man gezielt
ein nutzloses Substrat
entwickeln“, sagt Perbandt. Doch das Enzym soll
nicht nur das falsche Substrat benutzen, es soll es dem
echten sogar
vorziehen, das ihm ja ebenfalls zur Verfügung steht. Dafür machen die
Forscher ihre Fälschung
chemisch attraktiver, indem sie gezielt
bestimmte Molekülgruppen anhängen. „Wir legen dem Bakterium
quasi ein
Stück Schokolade neben ein Stück trocken Brot“, sagt Betzel. „Das geht
nur, wenn man die atomare
Struktur des angesprochenen Enzyms genau
kennt.“ Mediziner nennen derartige Wirkstoffe Prodrugs.
Prodrugs
entfalten erst durch die Verstoffwechselung in einem Organismus ihre
Wirkung.
„Von ursprünglich zwölf Wirkstoff-Kandidaten haben sich drei als
vielversprechend erwiesen“, berichtet
Perbandt. „Mit denen finden nun
Tests in Zellkulturen statt.“ Ob dabei schließlich ein neues Medikament
entsteht, lässt sich noch nicht sagen. Doch der Ansatz, mit Hilfe der
Kenntnis der atomgenauen Struktur
eines Biomoleküls einen Wirkstoff
maßzuschneidern, eignet sich nicht nur für Mittel gegen MRSA. „Diese
neue Art der strukturbasierten Wirkstoffentwicklung ist zukünftig auch
zur Bekämpfung anderer Erreger
vielversprechend“, sagt Perbandt. Und die
Methode hat weitere Vorteile: „Die strukturbasierte
Wirkstoff-
entwicklung spart nicht nur Geld, sondern auch eine ganze Menge
Tierversuche.“
Fachveröffentlichung:
Structure of ThiM
from Vitamin B1 biosynthetic pathway of Staphylococcus aureus – Insights
into a novel
pro-drug approach addressing MRSA infections; Julia
Drebes, Madeleine Künz, Björn Windshügel,
Alexey G. Kikhney, Ingrid B.
Müller, Raphael J. Eberle, Dominik Oberthür, Huaixing Cang, Dmitri I.
Svergun,
Markus Perbandt, Christian Betzel & Carsten Wrenger;
„Scientific Reports“, 2016; DOI: 10.1038/srep22871